Die leuchtende Stille

Der Goldene Tempel hat 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 365 (366) Tage im Jahr geöffnet. Es bietet für Weitangereiste Schlafplätze, für Hungrige Essen und für Gläubige eine atemberaubende Pilgerstätte.
Tagsüber schon drängen sich die Pilger über die Brücke zum Hari Mandir, um dem Guru Granth Sahib (Heilige Schrift der Sikh) ihren Respekt zu zollen. Aber auch bis zum späten Abend reißt dieser Pilgerstrom nicht ab. Insbesondere zwischen 22 bis 22:30Uhr wird es auf eine unheimliche Art laut, bevor es für Momente mucksmäuschenstill wird.
Wie ich schon berichtete, waren wir schon zur Mittagszeit im Goldenen Tempel und aßen dort beim Guru-ka-Langar. Da uns die Schlange auf der Brücke zum Hari Mandir Sahib zu lang erschien, entschlossen wir uns am Abend noch einmal eine Runde zu gehen. Diese Idee hatten viele andere auch – und ein ganz besonderer Moment wartete zu der Zeit auch noch auf uns und viele andere.
Warum? Der goldene Tempel ist ja schon bei Tag wunderschön. Das mit Gold bedeckte Gebäude funkelt in der Sonne und strahlt etwas Besonderes aus. Nach Sonnenuntergang setzen ein paar Scheinwerfer das Gold in Szene – und wie! Da verschlägt es einem die Sprache!

Eine einsame Stille kommt mit der Dunkelheit – nur das Scheppern des Geschirrs beim Langar erinnert daran, wie viel hier rund um die Uhr los ist.
Nicht jeder hat das Glück in einem der vier Niwas (Gasthäuser) unterzukommen. So machen es sich viele nun langsam unter dem überdachten Rand der Gebäude rund um den See bequem  – auf einfachen Decken oder den nackten Boden.
Als wir schließlich am Tor zur Brücke ankommen, beginnt gerade eine Aufregung durch die Menschenmenge zu gehen. Es ist ca. 22Uhr und eine Art Sänfte wird vor dem Tor zur Brücke unter lauten Rufen mit Blumenkränzen präpariert. Manchmal klingt es wie ein Wehklagen, was der ein oder andere loslässt. Die Aufregung steckt an und voller Neugier schauen wir gebannt dem Schauspiel zu.

Plötzlich weichen alle zur Seite und den Trägern der Sänfte wurde Platz gemacht (auf der Brücke gar nicht so schwierig, dank verschiedener Absperrungen, die bei Bedarf geöffnet und geschlossen werden können).
Da wir auch noch zum Hari Mandir wollten, stellten wir uns noch mit in die Schlange. Es ging erstaunlich schnell bis wir kurz vor dem vorderen Eingang waren. Begleitet von lauten „Waheguru ji ka khalsa, Waheguru ji ki fateh“ – Rufen.
Doch dann kam der Moment, an dem es mucksmäuschenstill wurde.
Für gewöhnlich kann man nicht diesen Eingang des Tempels nutzen, er ist immer verschlossen und man wird dank Absperrung zur Seite geleitet. Nur über die seitlichen Eingänge hat man Zutritt. Gerade wurde mir noch die Absperrung geöffnet, so dass ich zur Seite hätte gehen können. Doch plötzlich öffnet sich direkt vor meiner Nase die vordere Tür. Totenstille.
Mehrere Herren treten heraus – und einer von ihnen hält etwas in seinen Händen. Alle um mich herum gehen auf die Knie und verbeugen sich. Dann merke ich, dass nicht irgendetwas in den Händen des Sikhs ruht, sondern die Guru Granth Sahib. Auch ich verbeuge mich. Ich überlege kurz, ob ich auf den Auslöser meine Kamera drücken soll – und entscheide mich dagegen. Dieser Moment, diese Stille und Ehrfurcht möchte ich nicht mit Touri-Gehabe stören. Erst als sich der Mann von mir abwendet und die Heilige Schrift in die Sänfte legt, schieße ich doch noch ein Foto.
Es wird nun wieder lauter. Viele versuchen die Sänfte zu berühren und für Bruchteile einer Sekunde ihrem Heiligtum so nah wie möglich zu sein, bevor es in das Akal Takhat, einem gegenüberliegenden Gebäude, getragen wird.
Wir allerdings gehen unseren Weg weiter – hinein in den Hari Mandir. Die Gesänge, die sonst aus dem Inneren über das ganze Gelände über Lautsprecher ertönen, sind nun verstummt. Drinnen herrscht eine gewisse Feierabendstimmung. Teppiche werden zusammengerollt. Blumen und Geld, das gespendet wurden, werden zusammen gesammelt. Die letzten Tücher mit Parsad werden verteilt. Es kehrt Ruhe ein.
Wir setzen uns anschließend an den Rand des Amrit Sarovar (Teich um den Goldenen Tempel) und genießen für eine Stunde einfach die Ruhe.

Um es kurz zusammenzufassen: dies war bisher das absolute Highlight für mich auf meinen Indien-Reisen.

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6 Gedanken zu „Die leuchtende Stille

  1. Auch wenn es schon viele Jahre her ist, kann ich mich noch gut an meinen Besuch im Goldenen Tempel erinnern. ich war leider nur am frühen Morgen da, aber die Stimmung, nachdem man aus dem geschäftigen Treiben vor dem Tempel tritt, ist überwältigend.
    LG Michel

  2. Wunderbarer Bericht, herrliche Photos. Ich dachte, ich sag dir das endlich mal – ich mag deinen Blog, und deine Geschichten auch. 🙂

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